Eine Geschichte zu schreiben, heißt unter anderem, Figuren und Handlung zu erfinden und diese zu strukturieren. Es geht also um das was. Bei den Erzähltechniken geht es um die Frage, wie man dabei die dramaturgischen und sprachlichen Mittel am besten einsetzt. Den einen guten und richtigen Stil gibt es dabei nicht. Gut ist immer das, was funktioniert.
Stilfragen stehen nie für sich allein
Dabei genügt nicht, sich über kurze oder lange Sätze, die Anzahl der Adjektive im Satz oder passende Metaphern Gedanken zu machen. Figuren, Erzählperspektive, Handlung, Struktur, Wortwahl, Satzbau, Rhythmus … und vieles mehr fügen sich zu etwas Ganzem mit einem eigenen Stil zusammen.
Besonders deutlich wird das, wenn man sich zwei recht konträre Stilmittel einmal nebeneinander anschaute: objektives und subjektives Erzählen.
Objektives vs. subjektives Erzählen
Bei einem objektiven Stil beschreiben wir die Welt eines Romans und ihre Figuren von außen. Man zeigt nur das, was man mit den fünf Sinnen erfassen kann. Gedanken und Gefühle können hierbei nicht direkt beschrieben werden. Bei dieser Erzählweise steht tendenziell die Handlung im Vordergrund, also das, was geschieht.
Achtung: Viele angehende Autoren verwechseln einen objektiven Stil mit einem allwissenden Erzähler. Das Ergebnis ist i.d.R. ein unlesbarer Text. Ich komme am Ende des Artikels darauf zu sprechen!
Bei einem subjektiven Stil begibt man sich in die Innenwelt der Figuren. Man beschreibt die Welt so, wie nur sie sie erleben können. Hier steht tendenziell die Frage im Vordergrund: Was bedeuten die Dinge und das Geschehen für die jeweilige Perspektivfigur? Wie erschafft die Figur sich aus dem, was sie erlebt, ihre ureigene Wirklichkeit?
MERKE: Alle Elemente eines Textes wirken zusammen und werden insgesamt als Stil wahrgenommen. Er ist die Summe aus persönlichem Ausdruck, Erzählabsicht und literarischen Konventionen.
Die Reinform ist selten
Weder objektiven noch subjektiven Stil findet man in Reinform über ein ganzes Buch – oder wenn, dann sehr selten. Je nach Szene und Wirkungsabsicht können mal mehr subjektive und mal mehr objektive Elemente einfließen. Zwischen den beiden Polen gibt es also ein Kontinuum an unterschiedlichsten Möglichkeiten. Schauen wir uns einige davon etwas genauer an.
Objektiver Stil
Das folgende Textbeispiel ist vor allem handlungsorientiert und informativ. Man erfährt, was geschieht. Die Wörter und Sätze spielen sich dabei nicht in den Vordergrund. Dem Leser werden in schlichten Sätzen die Vorgänge verdeutlicht. Die Worte bedeuten genau das, was dort steht – nicht mehr und nicht weniger. Stimmungsbilder, Metaphern, Vergleiche oder Symbole spielen keine Rolle. Die Geschichte ist sozusagen betont unauffällig gekleidet.
Man spricht dabei auch von einem direkten Stil, einem Stilmittel, das häufig zusammen mit einer objektiven Erzählweise angewendet wird. Die Nüchternheit macht gerade die Wirkung des Textes aus.
Beispiel 1: unauffälliger, direkter Stil
Somma griff nach dem Helm, als die Smoot in die Atmosphäre eintauchte, bereit für die Landung.
Der Einschlag kam überraschend. Ein Geschoss? Ein Meteorit? Wieso hatten weder sie noch Jorge es kommen sehen?
Was immer es war, es hat die Hülle des Cockpits weggerissen. Somma wandte den Kopf. Jorge hing schlaff in seinem Kopiloten-Sitz. Ein gezacktes Stück Metall ragte aus seinem Gesicht.
Gegen den Druck des Sturzes stülpte Somma sich den Helm über den Kopf. Als die Nase der Smoot sich immer steiler nach unten richtete, ließ sie sich vom Sessel auf das nackte Deck rutschen und kroch aufwärts, dem rötlichen Himmel über Acrux 79 entgegen. Als es nicht mehr weiter ging, zog sie sich in einen der Sessel hinauf und aktivierte die Sicherheitsschalung. Dann wartete sie, dass der Absturz in einem einzigen, entscheidenden Moment endete.
Hier geschieht Dramatisches, und obwohl keine einzige Emotion, kein Gedanke beschrieben wird, bekommt man ein Gefühl dafür, wie es für Somma sein muss, auf diese Weise abzustürzen, denn Leser fügen einem Geschehen immer ihre eigenen Emotionen und Deutungen hinzu. Das funktioniert bei einem direkten und informativen Stil oft am besten, weil man Lesern hierbei besonders viel Raum für ihre eigenen Emotionen gibt und sie nicht mit zu vielen Adjektiven, Metaphern, symbolträchtigen Bildern oder innerem Monolog zu ‚gängeln‘ versucht.
Achtung: Ein sachlicher Stil verführt dazu, vorwiegend in kurzen Hauptsätzen zu schreiben. Eine Reihung von ausschließlich knappen Sätzen wird jedoch leicht zum unangenehm stenographischen ‚Hackstil‘. Ein direkter, sachlicher Stil entfaltet seine Wirkung, wenn erstens die knappen Sätze exakt gesetzt sind und sie zweitens mit längeren Sätzen kombiniert werden. So bekommt der Text einen Rhythmus und der Stil wirkt nicht ermüdend.
MERKE: Direkter Stil dient der Beschreibung von Umständen und Vorgängen. Die Sprache ordnet sich dem Geschehen unter. Die Aufmerksamkeit des Lesers ist mehr beim „Was“ und weniger beim „Wie“. Dabei müssen nicht nur Fakten, es können auch sinnliche Eindrücke beschrieben werden. Direkter Stil ist meist temporeich. Seien Sie bei einem direkten Stil daher sparsam mit Adjektiven, Metaphern und Symbolen.
Filmischer oder dramatisch verkürzter Stil
Der ‚filmische‘ oder ‚dramatisch verkürzte‘ Stil gehört auch zu den Mitteln, die man bei einer objektiven Erzählweise gut gebrauchen kann. Bei einem dramatisch verkürzten Stil versteckt der Erzähler sich hinter dem Text und will vom Leser als solcher möglichst nicht wahrgenommen werden. Meist ist das ein personaler Erzähler, man schreibt also in der er/sie-Form. Der Erzähler ‚reflektiert‘ nicht über das Geschehen, wie es ein Ich-Erzähler tun würde, sondern zeigt es urteilslos, wie eine Filmkamera. Das erste Lesebeispiel passt in diese Kategorie – ausgenommen dieser Passage:
Der Einschlag kam überraschend. Ein Geschoss? Ein Meteorit? Wieso hatten weder sie noch Jorge es kommen sehen?
Hier sind wir in Sommas Gedankenwelt, und genau das geht bei einem konsequent ‚filmischen‘ Stil nicht.
Im folgenden Textbeispiel aus einem Jugendbuch hat Gerry eben noch mit seinen Eltern vom Flugzeug aus in der Savanne nach Pavianen Ausschau gehalten. Dann ist das Flugzeug abgestürzt, und etwas Merkwürdiges ist mit Gerry geschehen.
Die Szene ist (fast) konsequent ‚filmisch‘ geschrieben – wir betrachten das Geschehen wie durch eine Kamera.
Beispiel 2: dramatisch verkürzter / filmischer Stil
Als er versuchte, sich aufzurichten, stellte er fest, dass er mit dem Kopf auf einem dünnen, behaarten Arm lag, der in einer Pfote endete. Anscheinend war Gerry aus dem Wrack geschleudert worden und auf einem der armen Viecher gelandet. Erschrocken setzte er sich auf und sah sich um.
Nun reagierten die Paviane. Durch seine plötzliche Bewegung aufgeschreckt, erstarrten sie und sahen ihn an. Sofort verhielt Gerry sich ganz still. […]
Und dann fingen alle wieder an, nach Futter zu suchen, als wäre es das Normalste der Welt, wenn jemand aus dem Himmel gestürzt kam und aus einem ihrer Artgenossen Matsch machte. Doch als Gerry zu der Stelle sah, wo er eben noch gelegen hatte, sah er nur ein bisschen flachgedrücktes Gras.
Ohne nachzudenken, hob er die Hand, um seine Augen zu beschatten, und sah eine schmale Pavianpfote auf sein Gesicht zurasen. Er zuckte zusammen, und die Hand blieb stehen. Ein paar Sekunden lang starrte er die zerknitterte schwarze Handfläche und die fünf dünnen Finger einfach bloß an.
Dann wackelte er mit den Fingern.
Die Pavianfinger wackelten.
Das war sein eigener Arm, den er da sah. (Aus: Wild )
Nach dem Flugzeugabsturz findet Gerry sich also im Körper eines Pavians wieder. Diese Szene ist insofern etwas Besonderes, als dass wir uns in Gerry befinden und alles direkt durch seine Augen sehen.
Sich in einer Figur zu befinden, ist normalerweise Merkmal für einen subjektiven Stil. Hier ist es jedoch anders. Weil Gerry unter Schock steht, reflektiert er nicht über das Geschehen, sondern er nimmt es bloß wahr. Seine Augen sind wie eine Filmkamera. Die Kamera kommentiert und wertet nicht. Sie dokumentiert nur. Genau dieser Kniff lässt den Leser spüren, dass Gerry noch gar nicht erfassen kann, was das Geschehen für ihn bedeutet.
MERKE: Dramatisch verkürzter / filmischer Stil findet sich häufig in der Spannungsliteratur (Thriller, Action, Abenteuer) und in temporeichen Szenen. Hier herrscht das ‚Schreiben mit der Kamera‘ vor. Sehr gut eignet er sich auch, um das Erleben von Figuren zu schildern, die unter großem Stress oder Schock stehen.
Wie zeigt man mit der Kamera die Gefühle einer Figur?
Wenn man ‚filmisch‘ schreiben möchte, ist es eine Herausforderung, Gefühle und Stimmungen sichtbar machen, ohne sie direkt beim Namen zu nennen. Das heißt, wir können – wie eben eine Filmkamera – nur zeigen, wie unsere Figuren äußerlich auf das reagieren, was sie im Innern empfinden. Die Frage beim Schreiben lautet also immer: Wie verhält diese Figur sich, wenn sie nervös, wütend, traurig, überrascht, ungeduldig, angespannt, … ist? Was tut sie und warum?
Achtung: Nicht übertreiben! Wenn es in Texten von ‚verengten Augen‘ (Misstrauen), ‚geballten Fäusten‘ (Wut) oder ‚zusammengebissenen Zähnen‘ (Anstrengung) wimmelt, dann bedient er vor allem Klischees.
Wie versuchen Figuren, ihre Gefühle zu verbergen?
Meist ist es so, dass Menschen Ihre Gefühle gar nicht unbedingt so ausdrücklich zeigen wollen, weil sie dadurch durchschaubar und angreifbar werden. Geschickter, als eine Figur ständig eins zu eins nach außen projizieren zu lassen, was in ihr vorgeht, ist es also, sich zu fragen: Wie versucht sie, ihre Gefühle zu verbergen? Was soll in dieser Situation besser niemand merken?
Beispiele:
- Wer wütend ist, spricht lauter – oder aber mit einer spannungsgeladenen, betonten Ruhe.
- Intensive Gefühle sorgen für stärkeres Gestikulieren – ober aber man verhält sich besonders steif und reglos.
- Wer traurig ist, verzieht die Mundwinkel, die Augen werden feucht, man sinkt in sich zusammen, macht sich klein – oder man versucht, all das aktiv zu überspielen.
MERKE: Man sollte nicht nur die unmittelbaren Reaktionen von Figuren zeigen, sondern auch, wie sie versuchen, ihre Reaktionen zu verbergen.
Subjektiver Stil
Kommen wir nochmal auf das erste Textbeispiel zurück und erzählen wir (fast) dasselbe, dieses Mal jedoch in einem ausgeprägt subjektiven Figurenstil.
Beispiel 3: ausgeprägter Figurenstil
Wenn ich die Augen schließe, erlebe ich alles noch einmal, bekomme es nicht aus dem Kopf, vergesse nicht, wie ich nach meinem Helm greife. Ich vergesse nicht das Rütteln, Rattern, Quietschen beim Eintritt in die Atmosphäre. Und wie über mir plötzlich alles rot und dunkel ist, und das Gefühl, mein Gesicht steht in Flammen. Das ist keine Hitze, sondern die Weltraumkälte, die so brennt. Ich vergesse nicht, wie ich nicht atmen kann, wie Jorges Kopf neben mir hin und her pendelt, der Helm zerbrochen, das gezackte Metall in seinem Kopf, der vorwurfsvolle Blick. Ich vergesse nicht das graue Gewebe, das auf seiner Wange klebt. Und wie ich gegen den zunehmenden Druck des Sturzes die Arme nach oben zwinge, mit dem Helm, den ich noch immer in den Händen halte, den ich aufsetzen muss, unbedingt, unbedingt. Wie die Nase der Smoot sich immer weiter nach unten neigt, wie ich vom Sessel rutsche und aufwärts über das Deck krieche, und über mir nur noch der dunkelrote Himmel über Acrux 79 und keine blasse Ahnung, wie weit der Aufprall noch entfernt ist. Ich ziehe mich auf einen Sessel, aktiviere die Sicherheitsschalung. Nicht weil ich denke, dass ich dann überleben werde. Ich hoffe nur, dass es angenehmer sein wird, hier zu sterben als unten auf dem nackten Metall. Dann warte ich. Das Fallen wird innerhalb eines einzigen Moments beendet sein. Ich weiß nur nicht, wann.
Wir haben hier immer noch, wie in Beispiel 1, einen vorwiegend direkten Stil. Das heißt: Metaphern, Symbole, Sprachbilder – Fehlanzeige. Es werden immer noch mehr die Vorgänge beschrieben, und weniger Gedanken und Gefühle.
Hier ist der direkte Stil jedoch durch einen ausgeprägten Figurenstil ergänzt. Durch die Ich-Perspektive wird das verstärkt: Wir erleben das Geschehen unmittelbar durch Sommas Wahrnehmung.
Auch die Zeitform trägt dazu bei – sie erinnert sich zwar an ein vergangenes Geschehen, aber die Erinnerung ist so intensiv, dass sie innerlich alles noch einmal erlebt, als würde es gerade jetzt geschehen. Die Sätze sind vorwiegend lang und lesen sich, entsprechend der Situation, wie eine atemlose Kette von Eindrücken und Vorgängen. Zeit für Reflexionen bleibt kaum. Die Art, wie erzählt wird, ist also ein Spiegel für die Vorgänge im Innern der Figur.
Der Stil tritt bei dieser Variante viel deutlicher hervor, man nimmt die ‚Machart‘ des Textes deutlich war. Der Text wird dadurch weitschweifiger, die Handlung geht langsamer voran. Dafür kommt man der Figur näher.
MERKE: Ein ausgeprägter Figurenstill entsteht, wenn die Länge der Sätze und die Wahl der Worte erstens der Situation und zweitens dem inneren Zustand der Figuren entspricht. Der Stil kann temporeich oder langatmiger sein – je nach Figur und Situation.
TIPP: Wenn man sich einer Figur stilistisch annähern will, kann man sich fragen, ist sie grundsätzlich eher emotional oder unterkühlt, ist sie ein Bauch- oder Kopfmensch?
Bildhafter, indirekter Stil: Vergleiche, Metaphern und Symbole
Kommen wir vom direkten zum indirekten, bildhaften Stil, bei dem man dem Leser die Welt einer Geschichte vor Augen führt und sie im gleichen Zug mit Bedeutung anreichert. Man beschreibt also Dinge, die man sehen kann und benutzt dabei Vergleiche, Metaphern oder Symbole, um die Bilder mit Bedeutung aufzuladen – wie das folgende Textbeispiel.
Beispiel 4: bildhafter, indirekter Stil
Sie beugten sich über das Geländer und starrten ins Wasser, und die drei Angelruten neigten sich wie drei gelbe Feuerfäden in der Sonne. Ich ging auf meinem Schatten, stampfte ihn wieder in die gefleckten Baumschatten. Die Straße machte eine Kurve und führte vom Wasser weg bergan. Sie lief über den Hügel, dann in den Windungen bergab, und trug das Auge, trug den Sinn voraus unter einem stillen, grünen Tunnel, und dann der viereckige Turm über den Bäumen und das runde Auge der Uhr, wenn auch noch weiter entfernt. Ich setzte mich an den Straßenrand. Das Gras knöcheltief, zahllos. Die Schatten auf der Straße waren so reglos, als wären sie mit einer Schablone aufgezeichnet, mit den schrägen Stiften der Sonne. Aber es war nur ein Eisenbahnzug, und nach einer Weile erstarb es hinter den Bäumen, erstarb das nachhallende Rattern, und dann konnte ich meine Uhr und den verhallenden Zug hören, als ob er durch einen weiteren Monat und einen weiteren Sommer irgendwohin raste, als ob er dahinstürzte unter der in der Luft hängenden Möwe und alle Dinge stürzten. (Aus: Schall und Wahn)
In diesem Beispiel bewegt sich der Erzähler durch einen glühend heißen Sommertag. Die Hitze ist lähmend, alles steht still, sogar der Schatten eines vorbeiratternden Zuges. Licht und Schatten zeichnen sehr klare Umrisse. Der Erzähler schaut, sein Blick wird durch die Landschaft getragen und trifft das ‚Auge‘ der Uhr. Hier ist alles aufs Sehen ausgerichtet; Leser sehen die beschriebene Landschaft ebenso, wie der Erzähler sie sieht.
Der Stil ist jedoch nicht sachlich oder direkt, sondern es werden Bilder und Vorgänge beschrieben, die über die eigentliche Wortbedeutung hinausgehen. Das eigentlich Wichtige steht nicht direkt schwarz auf weiß da, es ergibt sich erst im Kopf des Lesers. Aus diesem Grund nennt man diesen Stil ‚indirekt‘.
Unsagbares sagen
Durch indirekten Stil werden Dinge angesprochen, die eigentlich unsagbar sind, die man nur erspüren kann. In diesem Fall ist es das Gefühl, das ein mit Spannung aufgeladener, stillgelegter Sommertag erzeugt. Man kann dieses Gefühl nicht direkt beschreiben, es gibt kein einzelnes Wort dafür. Aber man kann durch Bilder (die Landschaft), Metaphern (das Uhrenauge) und Symbole (stillstehende Schatten eines rasenden Zuges) dafür sorgen, dass der Leser dieses Gefühl selbst empfindet.
MERKE: Ein indirekter Stil fügt dem Geschehen eine zusätzliche Ebene hinzu, auf welcher der Leser etwas erlebt, ohne dass es ausdrücklich benannt wird. So können auch Dinge vermittelt werden, die eigentlich nicht in Worte zu fassen sind. Oft ist indirekter Stil ein besonders bildhafter Stil, in dem Stimmungsbilder, Metaphern und Symbole zum Einsatz kommen.
Verschmelzung von Innen- und Außenwelt
Figuren werden erstens durch ihre Handlungen charakterisiert. Doch wenn es um Stil geht, dann wird auch die Umgebung der Figuren wichtig. Besonders über das Stilmittel des Stimmungsbildes kann man viel über innere Motive und Konflikte einer Figur sagen. Dabei setzt man Bilder, Metaphern, Vergleiche und Symbole ein, wie in Textbeispiel 4 von William Faulkner.
Stimmungsbilder werden oft auch bei Schilderungen eines Traumgeschehens, Rausch- oder Wahnzuständen oder bei besonders intensiven (Liebes- oder Hass-)Gefühlen genutzt. Außenwelt und Innenleben der Figur verschmelzen miteinander, es gibt keine regulierende, objektive Außensicht mehr, es handelt sich also um einen radikal subjektiven Stil.
Die Verschmelzung von Innenwelt und Außenwelt kann besonders gut mit der Ich-Perspektive zum Ausdruck gebracht werden, doch auch eine personale oder allwissende Perspektive eignet sich grundsätzlich.
Im folgenden Textbeispiel hat die Hauptfigur vor kurzem erfahren, dass sie einen Hirntumor hat. Sie beschäftigt sich zwanghaft mit dem Tod und erlebt dabei Dinge, die kaum als real durchgehen können, die aber dennoch als Wirklichkeit erlebt werden; äußere Welt und innere Bilder sind nicht mehr klar voneinander zu trennen.
Beispiel 5: Verschmelzung von Außen- und Innenwelt
Ich gehe schnell, das Gesicht ins Wetter gereckt, gehe die Treppe hinauf, auf den Deich, wo der Sturm mich endlich zu fassen kriegt. Er treibt mich vor sich her, drückt Zelte platt, reißt Fahrräder um, fegt den Sonnenschirm vor der Fish & Chips Bude weg, drückt das Wasser Richtung Land, er knotet Boote los, gräbt Löcher in den Deich. Das ist mal eine richtige Flut! Da ist kein Strand mehr, keine einzige Düne! Ich stehe auf dem Deich wie auf dem Rand einer übervollen Badewanne, das Wasser läuft ein, brodelnd und schäumend, und dann, endlich, sehe ich sie: Ghosts!
Sie sind überall, fliegen mit dem Wind, Haut und Kleidung in Fetzen, das Haar verfilzt, mit blauen Gesichtern, Augen blind, sie fallen vom Himmel wie Regen, in Zeitlupe gefilmt, die Arme weit ausgebreitet, die Köpfe in den Nacken gelegt trinken sie das Wasser, das auf sie niederstürzt, und plötzlich weiß ich, dass sie alle gesegnet sind, und ich auch, obwohl ich doch gar nicht an so etwas glaube. Sie regnen in die aufgewühlte See, Tausende von ihnen, und das ist furchtbar traurig und fruchtbar schön zugleich. So damn beautiful!
Und dann läuft die Wanne über. Ich werde vom Deich gespült, lande zwischen ersoffenen Zelten, betaste die abgeschabte Haut an meinem Rücken. Halb so schlimm.
Plötzlich ist es still, der Sturm hat eine Pause eingelegt, die Baumkronen über mir bewegen sich kaum. War es das jetzt etwa schon?
Ich blicke mich um und merke, dass ich nicht allein bin. Neben mir liegt ein Kind im seichten Wasser, Gesicht nach oben. Die Beine stecken in grünen Shorts, der Oberkörper in einem T-Shirt mit einem Glitzerregenbogen und einem Captain EO darauf, der mit strahlendem Lächeln Blitze reiner Liebe aus seinen Händen verschießt. […]
Das Kind ist noch klein, vielleicht sieben Jahre alt. Und es ist gar nicht gerettet worden, sondern natürlich tot, und es besteht ganz und gar aus Knochen.
(Aus Lügenvögel )
MERKE: Stimmungsbilder eignen sich besonders gut, um die Umgebung der Figuren mit ihrem Innenleben zu verbinden. Innere Bilder und Außenwelt gehen nahtlos ineinander über und verschmelzen manchmal zu einer Einheit. In diesem Fall spricht man von einem radikal subjektiven Stil.
Alles geht mit allem
Grundsätzlich lässt sich sagen: Man kann alle gängigen Erzählperspektiven sowohl mit subjektivem als auch mit objektivem Stil schreiben.
- Ich-Perspektive + subjektiver Stil
- Ich-Perspektive + obektiver Stil
- personale Perspektive + subjektiver Stil
- personale Perspektive + obektiver Stil
- auktoriale Perspektive + subjektiver Stil
- auktoriale Perspektive + obektiver Stil
Den klaren Fokus nicht vergessen!
Was jedoch beim objektiven Stil oft falsch gemacht wird: Er wird mit einem vermeintlich allwissenden Erzähler verwechselt und es wird kein Fokus gewählt. Das sieht dann in etwa so aus:
Beispiel 5 – Text ohne Fokus
Bernd fiel um und schlug sich den Kopf an der Bordsteinkante auf. Überall war Blut. Bis eben hatten sie noch gelacht, jetzt waren alle still vor Schreck. Julie schlug sich die Hand vor den Mund und Simon bedeckte die Augen. Sie überlegten laut, ob Bernd vielleicht mal wieder unkontrolliert alle möglichen bunten Pillen eingeworfen hatte.
Edgar bestimmte, dass sie Bernd ins Krankenhaus bringen müssten. Also setzten Sie ihn hinten in den Wagen und versuchten, ihn so hinzusetzen, dass er nicht umfiel.
Sie fuhren los und wurden von Minute zu Minute nervöser, weil der Verkehr so dicht war, dass sie manchmal nur im Schritttempo vorankamen. Simon, der am wenigsten Alkohol getrunken hatte, saß am Steuer und schwitzte vor Nervosität. Julie hatte zu weinen Begonnen und Edgar schimpfte auf die andern Autofahrer.
Hier ist alles in objektivem Stil geschrieben: Man sieht und hört, was geschieht, man kann nicht in die Köpfe der Figuren schauen. Der Text wirkt dabei jedoch völlig undramatisch, es entsteht trotz Blut und Zeitdruck nicht das kleinste bisschen Spannung. Das Problem ist, dass die Kamera überall zugleich ist und allen Figuren dieselbe Aufmerksamkeit einräumt. Wir haben in diesem kurzen Textausschnitt vier Figuren – und nicht die geringste Ahnung, wem die Szene gehört.
Wie stellt man fest, wem eine Szene gehört und auf welcher Figur der Fokus liegen sollte? Als Faustregel:
MERKE: Im Fokus einer Szene steht meist die Figur, die den größten inneren oder äußeren Konflikt erlebt und die am meisten zu verlieren oder zu gewinnen hat.
Auf unser Beispiel bezogen: Wenn wir uns vorstellen, dass Simon Bernd die bunte Pillen gegeben hat und er vielleicht schuld ist, wenn Bernd etwas zustößt, dann wäre es sinnig, die Szene so zu schreiben, dass er im Mittelpunkt steht. Dabei ist es ganz egal, welche Erzählperspektive wir wählen:
Simon als Ich-Erzähler
Ein Ich-Erzähler ist immer die Fokus-Figur. Er kann nur erzählen, was er weiß/herausgefunden hat. Ein Ich-Erzähler kann, wenn er im Rückblick erzählt, zum (annähernd) auktorialen Erzähler werden, weil er mehr über die Welt und ihre Figuren weiß, als diese selbst wissen.
Simon mit einem personalen Erzähler
Ein personaler Erzähler kann alles erzählen, was die jeweilige Fokusfigur wissen könnte. Wir erleben die Szene also so, wie Simon sie erlebt. Die Fokusfigur kann wechseln (= wechselnde personale Perspektiven).
Simon und ein auktorialer Erzähler
Ein auktorialer Erzähler weiß und darf alles, er kann jederzeit (begründet) den Fokus wechseln. Das heißt aber auch: Er braucht einen klaren Fokus, um ihn überhaupt wechseln zu können. Man würde sich hier also dafür entscheiden, alles, was geschieht, auf Simon zu beziehen. Selbst, wenn man sich entscheidet zu schreiben, was jede einzelne Figur in dieser Szene denkt, würde man erfahren, was das für Auswirkungen auf Simon hat.
Wessen Szene ist es? Um wen geht es hier?
Egal, aus welcher Perspektive man schreibt, und egal, ob man sich dabei für das Schreiben mit der Kamera oder für einen mehr oder weniger radikal subjektiven Stil entscheidet, Leser wollen wissen: Wessen Szene, wessen Problem ist es? Was bedeutet es für diese Person, wenn das Problem nicht gelöst wird?
Ob man diese Szene dann mehr wie mit der Kamera oder aus mehr oder weniger radikal subjektiver Sicht schreibt, wäre dann erst die zweitwichtigste Frage. Möglich sind alle Abstufungen zwischen den beiden äußersten Enden.
Christian S. meint
Hallo Karla,
danke für den überaus hilfreichen Text.
Kleine Anmerkung – hier fehlen die “j” bei objektiv:
Ich-Perspektive + subjektiver Stil
Ich-Perspektive + obektiver Stil
personale Perspektive + subjektiver Stil
personale Perspektive + obektiver Stil
auktoriale Perspektive + subjektiver Stil
auktoriale Perspektive + obektiver Stil
Liebe Grüße
Christian
Karla Schmidt meint
Hi Christian – Danke für die Korrektur. 🙂