In diesem und den folgenden zwei Artikeln wird es um Michael Jacksons lebenslangen Morph vom hübschen schwarzen Jüngling zu einer in den Augen der Öffentlichkeit geisterhaft weißen, alters- und geschlechtslosen Wesenheit gehen. Die Gestaltwandlung war nicht nur ein heiß diskutiertes Thema in der Klatschpresse, sondern auch eines der immer wiederkehrenden Motive in Michael Jacksons eigener Arbeit. Ich werde zeigen, was ihn zum Gestaltwandler machte, wie er damit umgegangen ist und wie die Öffentlichkeit darauf reagiert hat.
Become all things
In einem von Epic Records veranstalteten Star-Chat im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des HIStory-Albums am 17.08.1995 wurde Michael Jackson von einem Fan gefragt, welcher Superheld er am liebsten wäre. Er hat sich für Morph aus Marvels X-Men-Comics entschieden. Ihm gefiel dessen Fähigkeit, sich jederzeit in alles Denkbare verwandeln zu können:
When you´re not expecting him, he’s there, and he’s very mysterious, and I think he can even teleport which is exciting to me […] and he can become all things. […] He’s not as popular as the others, but that’s why he’s exciting.
Dass Michael Jackson sich ausgerechnet für Morph begeistert, scheint nicht überraschend. Nicht nur seine äußere Erscheinung hat sich ständig gewandelt, auch in seinen Musik-Kurzfilmen und auf der Bühne hat er immer wieder Verschwindetricks, Teleportation und Gestaltwandlungen inszeniert.
Bereits der Film zu Billie Jean (1983) zeigt einen Michael, der sich durch Gestaltwandlung und Unsichtbarkeit dem Zugriff eines Privatdetektivs entzieht – und nebenbei einem Stadtstreicher zu einem weißen Tuxedo, einer magischen Münze und einem Date verhilft. In dem 13-minütigen Film zu Thriller (1983) verwandelt er sich vom netten Jungen zum Werwolf zum netten Jungen zum Zombie zum netten Jungen zum katzenhaften Etwas. Und so geht es weiter: Speed Demon (1988), BAD (1988), MOONWALKER (1988), Black or White (1992), Who is it (1992), Remember the Time (1992), Scream (1994) und Ghosts (1996) nutzen alle auf ihre Weise ‘Morphings’, um ihre Themen zu verhandeln.
Die Verwandlungen sind dabei im Wesentlichen durch zwei Plots motiviert: Es geht entweder darum, penetrante Verfolger (Paparazzi, Fans, Staatsgewalt) auszutricksen. Oder/und es geht darum, dem Publikum auf einer Metaebene einen Spiegel ihrer eigenen Wahrnehmung vorzuhalten.
The Wiz
Das Konzept der Gestaltwandlung ist bereits früh in Jacksons Leben und Arbeit zu erkennen. Mit 20 Jahren (1978) hat er die Rolle der Vogelscheuche in dem Spielfilm The Wiz gespielt – einer komplett schwarz besetzten, großstädtischen Adaption des Zauberers von Oz. Die Rolle der Dorothy wurde von Michaels Mentorin und Freundin Diana Ross gespielt.
The Wiz war Michaels erstes Projekt, an dem er ganz ohne Beteiligung seiner Familie oder als Motown-Produkt mitarbeitete. Er begann sich zu emanzipieren, und der Drang, sich selbst nach eigenen Ideen zu erschaffen und künstlerisch und persönlich frei zu sein, wurde in dieser Zeit immer ausdrücklicher. Die Rolle der Vogelscheuche ist in diesem Sinne Jacksons erstes echtes Morphing: Bis hierher war sie von andern gemacht und mit deren Liedern gefüllt worden. Jetzt steigt er von seiner Vogelscheuchenstange herab, wandert die gelbe Ziegelsteinstraße entlang und beginnt, sein Leben selbst zu gestalten.
The Wiz wurde kommerziell ein Flop. Wichtiger war jedoch, dass Michael am Set Quincy Jones kennenlernte, den Produzenten seiner drei folgenden Solo-Alben Off the Wall, Thriller und BAD.
Und auf The Wiz folgte außerdem ein initialer Akt der bewussten Selbsterschaffung: Die erste Nasenverkleinerung. Manche sagen, er nutzte nach einem Bühnenunfall, bei dem er sich die Nase brach, die Gunst der Stunde. Andere denken, das war nur eine Ausrede – aber das ist letztlich nicht wichtig. Wichtiger ist der absolute Wille, sich um jeden Preis aus den ihm auferlegten Rollen zu befreien.
Später entstand eine Notiz, das sogenannte Manifesto, das Michael in einem inspirierten oder gar visionären Moment während der letzten Tour mit seinen Brüdern als The Jacksons auf einen Zettel schrieb: I want a whole new character, a whole new look. I should be a tottally [sic] different person. People should never think of me as the kid who sang ABC, I Want You Back. I should be a new, incredible actor/singer/dancer that will shock the world. I will do no interviews. I will be magic. I will be a perfectionist, a researcher, a trainer, a masterer [sic]. I will be better than every great actor roped into one. […] Und auf dem Rand des Zettels: I will study and look back on the whole world of entertainment and perfect it. Take it steps further from where the greats left off.
Michael war mit der Tour unzufrieden. Ihm gefiel weder das Management noch die Qualität der Bühnenshow. Nach der Tournee spendete Michael seine Einnahmen komplett für einen wohltätigen Zweck und wandte sich fortan konsequent seiner eigenen Karriere, die zu diesem Zeitpunkt längt mächtig Fahrt aufgenommen hatte, zu.
Zu dieser Zeit rund umm das Thriller-Album begann er, systematisch seiner Vision zu folgen; er studierte, übte, perfektionierte und experimentierte. Er unterzog sich einer weiteren Nasenoperation, und mit dem BAD-Album folgte dann das Grübchen im Kinn.
Diese Veränderung seiner Features war jedoch nur ein kleiner Teil der Selbstgestaltung, die sich in alle Bereiche von Michaels Leben und Arbeit erstreckte, von den Outfits über das Gebaren in der Öffentlichkeit bis hin zur Art seiner Musik und der Inszenierung seiner Musikfilme. Die acht Jahre zwischen Off the Wall , Thriller und BAD war ein einziges, rasantes Werden, das in der Figur resultierte, die wir als heute als „Michael Jackson“ erfassen – nicht der Kinderstar der 1970er Jahre, sondern der Megastar der 1980er Jahre.
Erfolgsdruck
Diese Verwandlung geschah jedoch nicht willkürlich, und die auslösende Überlegung dabei war auch sicher nicht, dass ein Schwarzer es in der Musikindustrie nicht ganz nach oben schaffen kann und er darum er ‘weiß’ sein müsste.
Der Beginn der Hautveränderung hat viel mehr mit einer Kombination aus genetischer Disposition und massivem Stress zu tun. Die ersten weißen Flecken auf seiner Haut hatte Michael Jackson bereits als Kind. Nachdem für Off the Wall der ersehnte Grammy-Erfolg ausblieb, begann er sich selbst unter einen zunehmend starken Erfolgsdruck zu setzen. In seiner Autobiografie Moonwalk beschreibt Jackson, wie er und Quincy Jones kurz vor dem Abgabetermin des Thriller-Albums feststellten, dass die gesamte Abmischung misslungen war. In einer einzigen, dreiwöchigen Tag-und-Nacht-Session musste das Album neu abgemischt werden, während Jackson nebenbei noch das Hörspiel zu Stephen Spielbergs Film E.T. einsprach.
Er wollte mit seinem nächsten Album Thriller alle Grammys abräumen, die es abzuräumen gab, und er wollte mehr Alben verkaufen als je ein Künstler zuvor. Der damalige CBS-Chef Walter Yetnikoff beschreibt in seiner Autobiografie, dass Michael in dieser Zeit vom Erfolg geradezu besessen war und keinem andern die Butter auf dem Brot gönnte, nicht einmal seinem Produzenten Quincy Jones (Walter Yetnikoff: Howling at the Moon. The Odyssey of a Monstrous Music Mogul in an Age of Excess).
Er wollte nicht nur mit den weißen Musikgrößen wie Elvis Presley oder den Beatles gleichziehen, er wollte es sich und allen beweisen, dass er (als Schwarzer) dasselbe und mehr erreichen konnte. Es war das erste Mal in Jacksons Leben, dass er nicht folgte, sondern führte, dass er selbst sein Leben gestaltete und damit erfolgreicher war, als er oder sonst jemand es sich hätte träumen lassen.
Es muss zu dieser Zeit in Michael eine explosive Mixtur aus Schuldgefühlen und Aufbruchsstimmung am Werk gewesen sein – er hatte sich immerhin nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als der größte Star aller Zeiten zu werden und sich zugleich aus seiner sehr eng gestrickten Familie zu lösen. Seine Haut hat hier möglicherweise angefangen, gegen den emotionalen Stress und den selbst auferlegten Druck zu rebellieren.
Nicht aus seiner Haut können
Der Morphing-Prozess, den Michael Jackson mit dem Manifesto bewusst in Gang gesetzt hatte, begann sich zwischen Off the Wall und Thriller auf unvorhergesehene Weise zu verselbständigen, und Anfang der 1980er Jahre wurde deutlich: Michael Jackson war an Vitiligo erkrankt.
Dabei handelt es ich um eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper die Pigmentierung der Haut zerstört. An Händen, Gesicht und Körper entstehen depigmentierte, papierweiße Hautpartien, die von normal pigmentierter Haut scharf abgegrenzt sind, sodass ein geflecktes Hautbild entsteht. Im Anfangsstadium gleichen Betroffene helle Flecken im Gesicht normalerweise mit Make-up aus. In fortschreitendem Stadium kann man versuchen verbliebene dunkle Hautpartieren mit Peelings, Laser oder Cremes aufzuhellen und das Hautbild etwas anzugleichen.
Viele Betroffene entwickeln nur wenige Flecken und die Krankheit kommt dann zum Stillstand. In schweren Fällen wie bei Michael Jackson kann sie sich über den gesamten Körper ausbreiten, und bei Schwarzen ist die Störung auffälliger und entstellender als bei Weißen und führt häufig zu Schamgefühlen und Depressionen.
Für Vitiligo muss eine genetische Disposition vorhanden sein (in Michael Jacksons Familie väterlicherseits), was jedoch nicht bedeutet, dass die Störung auch zwangsläufig ausbricht. Auslöser sind häufig mit emotionalem Stress beladene Lebensphasen, in denen man sich „nicht wohl fühlt in seiner Haut“ oder „nicht aus seiner Haut kann“.
Die ersten Bilder, auf denen die Erkrankung sehr deutlich sichtbar ist, stammen bereits von seiner letzten Tour mit den Jacksons, die er nur noch widerwillig absolvierte. Die schweißtreibende Arbeit auf der Bühne ließ das damals noch dunkle Make-up herunterlaufen und legte helle Flecken an Hals, Händen und Armen frei. Im Billie-Jean-Video trug er noch ein sehr dunkles Make-up, das seinem natürlichen Hautton jedoch so wenig entsprach, wie das später immer heller werdende Make-up.
Da die Krankheit im Falle Michael Jacksons immer noch häufig angezweifelt wird, der folgende Hinweis: Auf Seite 36 des Autopsie-Berichts findet sich die offizielle Bestätigung. Man findet den Bericht mit einer einfachen Google-Suche nach ‚autopsy report Michael Jackson pdf‘.
Zudem erkrankte Jackson in dieser Zeit an einer weiteren Autoimmunerkrankung namens Lupus Erythematodes, einer milden Form von Lupus, wie sein Hautarzt erklärte. Lupus Erythematodes greift vorwiegend die Haut an und tritt oft in Verbindung mit Vitiligo auf. Der Gerichtsmediziner Dr. Richard Strick, der im Zuge der ersten Missbrauchsvorwürfe 1993 für Staatsanwalt Tom Sneddon Jacksons medizinische Akten durchgesehen hat, sagt in einem Interview (hier und hier) dazu:
“Lupus ist ebenfalls eine Autoimmunerkrankung, und davon war seine Haut auch betroffen. Lupus hat Teile seiner Haut an der Nase zerstört und seine Nasenoperationen waren wirklich rekonstruktiv, um zu versuchen, normal auszusehen.“
Frage: „Also sagen Sie, dass diese Nasenrekonstruktionen das Ergebnis einer Lupusbehandlung waren?“
„Die erste war der Versuch der Rekonstruktion aufgrund von Narbengewebe und Verstopfung, die durch die Haut hier verursacht wurde. Es funktionierte nicht besonders gut und alle folgenden Versuche sollten es verbessern. Ich denke, er versuchte einfach so gut es ging, wie ein normaler Mensch auszusehen.“
But then I am a Freak!
Glaubt man einer im Internet kursierenden Anekdote, so hat Michael, als er die Vitiligo-Diagnose erhielt, laut ausgerufen: Aber dann bin ich ja ein Freak!
Ob er da nun laut gesagt hat oder nicht – so war es wirklich. In den Kuriositätenshows des 19. Jahrhunderts gehörten Freaks zu den beliebtesten Ausstellungsobjekten. Und Schwarze, die an Vitiligo erkrankt waren – ‚weiße Neger‘, die man gern auch in Tracht eines Stammeskönigs auf einen Thron setzte – gehörten zum üblichen Repertoire.
Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogel weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Jackson der bestimmende Freak unserer Zeit gewesen ist. No other public figure in the world evoked the same level of ridicule, scrutiny and hyper-interrogation. Schon 1985 wurde Jackson von der britischen Boulevardzeitung „The Sun“ der Titel Wacko Jacko verpasst – ein Begriff, den er hasste. In the press, he was frequently described as ‚bizarre,‘ ‚weird,‘ and ‚eccentric.‘ Indeed, there was very little he said or did from the mid-1980s forward that wasn’t described in these terms by the media.
Man verlachte ihn, weil er Tiere mochte, sich für Kinder einsetzte, weil er sich Sorgen um den Zustand des Planeten, um Kriege oder Hungersnöte machte, wegen seiner Ehen, seiner Kinder, seiner Neverland-Ranch, seiner Sexualität, seiner Stimme, Hochwasserhosen, Griff in den Schritt, Nase, Mundschutz, Perrücken, … Even reviews of his music couldn’t resist filling up the majority of the space with pseudo-psychoanalysis and ad hominem assaults. Can there be any doubt that this treatment by the media and culture at large was abusive?
Dass seine Haut zunehmend heller erschien, trug wesentlich dazu bei, das Freak-Image zu fördern. Noch im Jahr 2015 habe ich mit Leuten diskutiert, der nicht an Vitiligo ‘glaubten’, sondern meinten, dass eher der Autopsie-Bericht, in dem die Erkrankung bestätigt wurde, gefälscht sei als dass Michael Jackson wirklich unfreiwillig weiß geworden sein könnte.
Solche fest verankerten Misstrauensbekundungen, die sich auch durch dokumentierte Fakten nicht verrücken lassen, irritieren mich und ich muss mir immer wieder bewusst machen, warum sie so schwer zu verrücken sind: Weil Michael Jackson nun mal als Freak galt (und offenbar noch immer gilt).
Freaks werden Freaks genannt, schrieb 1985 der amerikanische Schriftsteller James Baldwin in einem Essay über Jackson, und werden behandelt, wie sie behandelt werden – in der Regel abscheulich – weil sie menschliche Lebewesen sind, die tief in uns ein Echo unserer größten Ängste und abgründigsten Begehren erzeugen. (James Baldwin: The Price of the Ticket: Collected Nonfiction 1948-1985)
Jackson hat dem Publikum in etlichen Songs diesen Spiegel vorgehalten, hat den Mechanismus offengelegt, und es war kein Zufall, dass sein Status als Freak mit seiner sich verändernden Haut in Zusammenhang gebracht wurde – letztlich war er ein Schwarzer, der es sich anmaßte, weiß zu werden und der dann nicht ‘zugeben’ wollte, dass er das mit voller Absicht tat.
Es wohl gibt kaum eine andere öffentliche Figur, in der die kulturell tief verankerte Angst vor dem ‘schwarzen Mann’ derartig eng mit dem tabuisierten Begehren verwoben ist, das sich im Mythos vom ‘großen Negerschwanz’ fortschreibt. Michael Jackson war einfach zu begehrenswert und zu potent, zu talentiert, zu reich, zu erfolgreich und zu einflussreich, um nicht zum ‘Freak’ erklärt zu werden. Und was die ‘abgründigsten Begehren’ unserer Kultur betrifft, so waren die Kindesmissbrauchsvorwürfe wohl das dunkelste Echo, dass Michael Jacksons Gestalt in seinen Kritikern hervorgerufen hat.
Lebenslange Camouflage
Dabei war Jackson sich bestimmt nicht von Anfang an sicher, wie er mit der Hauterkrankung umgehen sollte. Zwischen den Alben Thriller und Bad ist eine Foto-Reihe entstanden, auf der sich die Flecken im Gesicht bereits großflächiger ausgebreitet hatten, vor allem auf der rechten Gesichtshälfte. Jackson zeigt sich in Charlie-Chaplin-Kostüm und -Maske, jedoch ohne ausgleichendes Make-up. Möglicherweise handelte es sich dabei um einen Test, ob es eine Option wäre, die Pigmentstörung öffentlich zu zeigen und damit zu arbeiten. Chaplin gehörte zu Jacksons großen Vorbildern, und dessen kontrastreiche Schwarzweiß-Figur kann durchaus die Frage aufgeworfen haben, ob man die Kontraste der Pigmentstörung nicht für ein starkes Image nutzen konnte, so wie heute das erfolgreiche Model Chantelle Brown-Young. Das ist allerdings reine Spekulation, und ob es sich so verhält oder nicht – Jackson hat sich offensichtlich dagegen entschieden, die Erkrankung öffentlich zu zeigen.
Auf ihrem Blog berichtet Michael Jacksons Maskenbildnerin Karen Faye, dass Michael es anfangs selbst vor ihr geheim zu halten versucht habe, dass seine Haut immer mehr helle Flecken aufwies. In einem Video kann man sehen, wie Michael von Karen für das Thriller-Cover-Shooting gestylt wird. Die beiden und eine dritte Person, die nicht zu sehen ist, unterhalten sich über Michaels krause Haare. Er möchte sie enger am Kopf anliegen haben, und sie experimentieren mit Wasser und Haarnadeln und ein paar Locken, die sie vorne aus der Krause zupfen. Karen Faye bemerkt an einem Ohr eine discoloration, die sie mit Haaren verdecken will. Michael ist unentschlossen, weil die Haare dann nicht so eng anliegen können wie er es möchte. Hier sieht man den Beginn einer ständigen Anstrengung, einer lebenslangen Camouflage.
Diese Entscheidung ist im Rückblick durchaus nachvollziehbar – erstens fühlte Michael sich laut Aussage seiner Maskenbildnerin wegen seiner äußeren Erscheinung ohnehin oft unsicher. Zweitens: Durch die fleckige Pigmentierung verliert sein Gesicht die klaren Konturen, es wirkt verwaschen, unklar. Konturen sind jedoch gerade für einen Bühnenperformer überaus wichtig. Das deutliche Hervortreten vor allem von Augen und Mund ist notwendig, damit auf der Bühne überhaupt eine Mimik zu erkennen ist.
Auch Chaplins Tramp-Gesicht lebte von Konturen und Kontrasten. Sein von der kalifornischen Sonne dunkler Teint wurde weiß überschminkt, die intensiv blauen Augen schwarz umrandet und das Bärtchen wurde angeklebt. Oben trug er die schwarze, zu kleine Melone und das zu enge Jackett, die in optischem Kontrast zu den übergroßen Hosen und den zu langen Schuhen standen.
Jackson arbeitete später mit denselben Mitteln: Porzellanteint, pechschwarzes Haar, dunkel betonte Augen, ein oft expressiv aufgerissener Mund sowie scharfe Schwarzweißkontraste wie z.B. bei seinem Statement-Kostüm aus der Black or White-Zeit: blendend weißes T-Shirt, pechschwarze Hose. Weiße Kontraststreifen seitlich an den Hosenbeinen, Glitzersocken, Pflaster an den Fingern, Armschienen oder Strass-Handschuhe erfüllten alle denselben Zweck: Durch Kontrast, Kontur und Bewegung die Blicke zu lenken.
Die Nase ausblenden
Eine Nase spielt bei solcherart stilisierten Figuren normalerweise eine untergeordnete Rolle. Chaplins eigentlich recht große Nase beispielsweise hat man durch die harten Kontraste und das Filmlicht überhaupt nicht bewusst wahrgenommen. Augen, Bart und Melone oder aber die Silhouette als Ganzes waren die Zeichen, an denen man den ‘Tramp’ erkannte.
Das Ausblenden der Nase hat bei Jackson jedoch nicht funktioniert, im Gegenteil. Als ich mir das erste Mal Mitschnitte der BAD-Tournee (1987) angesehen habe, war es mir kaum möglich, auf die Performance zu achten, weil mein Blick ständig auf die unnatürlich aufstrebende Nasenspitze und die dreieckigen, schiefen Nasenlöcher gerichtet war. Mir kamen Gedanken in den Sinn, die durch jahrelange Tratsch-Indoktrination getriggert wurden: Hoffentlich fällt das Teil nicht gleich ab, wenn er sich zu wild gebärdet …
Dass das Ausblenden der Nase hier nicht funktionierte und die ehemals große und später kleine Nase umso deutlicher wahrgenommen wurde, kann daran liegen, dass es im Hinblick auf Schwarze eben dieses unterschwellige Klischee vom ‘großen Schwanz’ gibt, und Nasenebenso unterschwellig mit Potenz in Verbindung gebracht werden.
Die so offensichtlich veränderte Nase hätte dann jedes Mal, wenn sie zu sehen war und ebenso, wenn sie versteckt wurde, als Verweis auf die Frage nach Michaels Sexualität gewirkt. Oder noch banaler: nach dem Aussehen seines Geschlechts. Die Nase erschien, wenn man den Gedanken zu Ende denkt, wie eine Mogelpackung, die Kindlichkeit vortäuschte bzw. Männlichkeit zu leugnen versuchte, und wurde dadurch möglicherweise als bewusster Verschleierungsversuch wahrgenommen. Und wo etwas verschleiert wird, vermutet man dahinter etwas Böses, Hässliches, Abtoßendes – welchen Grund gäbe es sonst zur Verschleierung? Etwas zu verstecken verweist letztlich immer direkt auf das, was versteckt wird. Statt es aus dem Blick zu ziehen, zieht es die Blicke nahezu magisch an. Was steckt hinter der Maske? Was steckt hinter den OPs?
Je mehr ich mich jedoch mit Jacksons Arbeit beschäftigt habe, desto nebensächlicher wurde die Nase – ganz einfach, weil eine Nase letztlich nun einmal wirklich nebensächlich ist. Dass ständig die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wurde, hat über Jahrzehnte den Blick auf das verstellt, was an Michael Jackson eigentlich interessant und sogar wichtig ist.
Aus der Not eine Tugend machen
Man könnte argumentieren, Jackson hätte mit seiner Hautkrankheit zum Botschafter einer leidenden Randgruppe werden können. Das hätte sogar zu jemandem wie ihm gepasst, der sich (wie viele Künstler) den Ausgestoßenen und Fremdartigen stets näher gefühlt hat, als den ‘Normalen’. Doch selbst im Jahr 1993 war die Öffentlichkeit offenbar noch nicht bereit dafür. Ich erinnere mich, wie ich kurz nach dem Exklusiv-Interview mit der amerikanischen Über-Talkmasterin Oprah Winfrey in die Schule kam. Jackson hatte in dem Interview kurz und offensichtlich schambehaftet über seine Vitiligo-Erkrankung gesprochen und gesagt: Ich kann nichts daran ändern. Jemand hatte ein Klatschblatt mit zur Schule mitgebracht, das behauptete, eine solche Krankheit gebe es gar nicht, Jackson hätte sie nur erfunden. Er stand als Lügner da, der nicht zugeben konnte, dass er es hasste, schwarz zu sein.
Warum fiel es so schwer, ihm zu glauben? Und warum hält sich die Wahrnehmung des ‘Freaks’, der etwas ‘Dunkles’ zu verbergen versucht, bis heute so hartnäckig?
Tatsächlich hatte Jackson statt eines fleckigen Gesichts eine andere, noch herausfordernde Ausdrucksform gewählt: Er hat angefangen, sein sich ohnehin wandelndes Gesicht als Fläche für ein lebenslanges künstlerisches Projekt zu nutzen und sich jeder Definition zu entziehen. Der Motto-Song Black or White war in dem Sinne wirklich Programm; er singt: I’m not gonna spend my life being a colour.
Man konnte ihn nicht festnageln, nicht eintüten, ihm kein Label aufkleben. Und jemand, der nicht erkennbar, nicht definierbar ist, wird leicht als Gefahr wahrgenommen. Die Vitiligo-Erkrankung begann Michael Jacksons Morphing-Prozess zu beschleunigen. Mit sowohl Angst als auch Begehren besetzte Verwandlungen wurden fast zwingend zu einem zentralen Thema seiner Arbeit – nicht nur die Angst und das Begehren der Öffentlichkeit, sondern auch die eigenen Ängste und Begehrlichkeiten.
Im nächsten Artikel werde ich zeigen, wie Michael Jacksons Gestaltwandlugen sich in seiner Arbeit niederschlagen.
Steffi meint
Sehr, sehr guter und vor allem wichtiger Artikel! Super auch für die Erklärungen mit der Nase. Alles sehr nachvollziehbar! Danke dafür! Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Karla Schmidt meint
Danke, Steffi! Ich bin schon dran am nächsten Schwung. 🙂